Ich bin schon Zeit meines Lebens, vorbelastet durch meine Eltern, Teil des Montessorisystems. Nach meiner Zeit im Kindergarten in einer Montessorigruppe bin ich mit 6 Jahren in die Mostviertler Montessorischule, kurz MOMO, eingestiegen. Für mich war es völlig selbstverständlich, dass ich hier meine natürliche Wildheit und Kreativität voll ausleben konnte, da ich ja nichts Anderes kannte.
Erst durch den Kontakt mit Gleichaltrigen im Fußballverein, die mir Fragen zu dieser „seltsamen“ Schule stellten, fing ich an zu reflektieren. „Gibt’s da keine Klassen?“, „Musst du gar keine Hausübungen machen?“, und „Haben da alle so lange Haare wie du?“.
All diese Fragen und die oft etwas abschätzigen Bemerkungen mancher Erwachsenen regten in mir Zweifel, ob diese Schule oder wie sie es oft nannten „Sonderschule“, überhaupt cool genug sei. Ich habe es ehrlicherweise nicht immer geschafft sie wirklich als cool genug wahrzunehmen, mich teilweise sogar für sie geschämt, was sich jedoch mit der Zeit änderte.
Aufgrund der freien Nachmittage, dem meist völlig stressfreien Schulalltag und ohne Leistungsdruck konnte ich mich in den meiner Meinung nach wirklich wichtigen Lebensbereichen ungestört entwickeln. Jegliche Interessen, die ich hegte, wurden in der MOMO akzeptiert und ernst genommen. Völlig egal ob ich nun, als sehr stures Kind, der Meinung war, 4 Tage lang an einer Haube häkeln zu müssen oder für 2 Tage in der schuleigenen Werkstatt verschwand, um mich seltsamen Holzbauprojekten hinzugeben. Auch meine Liebe zur Zeitgeschichte konnte ich sehr intensiv ausleben, und sie prägt mich bis heute in meinem angestrebten Beruf.
Am liebsten war es mir, wenn ich ein Material oder einen Betreuer für mich ganz allein beanspruchen konnte, um so meinen Wissensdurst zu stillen, bevorzugt mit irgendetwas Geografischem oder Geschichtlichem.
All das mag jetzt vielleicht fälschlicherweise so klingen, als wäre ich der Prototyp des vorbildlichen Montessorischülers gewesen, immerzu brav, lernbegierig und aufmerksam. Das war bei weitem nicht der Fall. Durch meine gelegentlichen Ausraster, meine Liebe zur Provokation und meine Direktheit, mit der ich oft Leute vor den Kopf stieß, kam es häufig zu Konflikten. Auch fühlte ich mich sehr oft ungerecht behandelt und in meinen Forderungen nicht gehört. Doch sonderbarerweise blieb von diesen schlechten Gefühlen nichts übrig, bis auf Dankbarkeit für jene Menschen, die mich auf meinem holprigen, sehr kurvenreichen Weg begleitet (vielleicht sogar geleitet) haben und denen ich mich noch immer sehr verbunden fühle.
Nach meinen sehr intensiven 9 Jahren in der MOMO war es wichtig, einmal auf Abstand zu gehen und ein anderes System zu erleben. Der Kontrast könnte mit den darauffolgenden 4 Jahren Oberstufengymnasium + Matura nicht stärker sein. Auch hier wieder die besorgten Fragen der Eltern „Schaffst du das überhaupt nach so einer krassen Systemumstellung?“, „Wie willst du eine Schularbeit schreiben, wenn du das noch nie zuvor gemacht hast?“ und „Wie soll denn das funktionieren, erst mit 15 Jahren ins Regelschulsystem einzusteigen“.
Nachträglich betrachtet war es dann offensichtlich gar nicht so schlimm und ich habe die Jahre ohne schulische Probleme sehr gut überstanden. Momentan bin ich in meinem Studium Bewegung/Sport und Geschichte auf Lehramt sehr glücklich und finde auch Raum in den Pädagogikvorlesungen über meine eigene Schulzeit differenziert und reflektiert nachzudenken.
Peinlicher Weise erwische ich mich immer wieder, wie ich die Ansichten meiner ehemaligen Betreuer oder meiner Eltern, die ich als Jugendlicher noch zutiefst kritisiert habe, als sehr positiv betrachte. Das nennt man dann wahrscheinlich Einsicht oder wie die Mama sagen würde „Ich hab´s da ja g`sagt“. Außerdem stell ich mir immer häufiger die Frage, ob es eigentlich notwendig ist, mein Kind mit 6 Jahren in ein Regelschulsystem zu stecken, das sehr wenig Rücksicht auf Individualität nimmt und den Fokus nur auf Leistungserbringung legt. Auf der anderen Seite frage ich mich aber auch, ob es den Aufwand und das Risiko wert ist, mein Kind in ein Alternativschulsystem, wie ich es erleben durfte, zu geben, in Bezug auf die Nachteile, die diese Entscheidung sicherlich mit sich zieht. Derweil befinde ich mich diesbezüglich noch in einem Prozess, jedoch gibt es, wie dieser Text unschwer erkennen lässt, eine klare Tendenz :)